Scheibenberg nach dem Mauerfall 1989 - auf dem Weg zum 03. Oktober 1990

 

 

Teil 1

 

Was geschah in Scheibenberg zwischen dem Mauerfall am 9. November 1989 und dem 3. Oktober 1990, dem Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) zur Bundesrepublik Deutschland? Dem Tag, der seither als „Tag der Deutschen Einheit“ deutscher Nationalfeiertag ist und sich in diesem Jahr zum 30. Mal jährt?

 

 Aus der sogenannten „Wendechronik Scheibenbergs“ der AG Heimatgeschichte geht hervor, dass am 25.01.1990 in Scheibenberg eine Wahlkampfveranstaltung stattfand, die vom Neuen Forum, der CDU, der Deutschen Bauernpartei Deutschlands (DBD) und der Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands (LDP) gemeinsam organisiert wurde.

 

Im Rahmen der Wahlvorbereitungen zur Volkskammerwahl fanden im März weitere einzelne Wahlkampfveranstaltungen verschiedener Parteien statt. Auch die Ortsgruppe Neues Forum Scheibenberg und eine DSU-Ortsgruppe (Deutsche Soziale Union) wurden gegründet.

 

Am 18.03.1990 wurde in Scheibenberg, wie in der gesamten DDR, die Volkskammer gewählt. Die erste frei gewählte Volkskammer des Landes und - wie sich später herausstellte - auch die letzte.

 

Der nächste Meilenstein war die Kommunalwahl im Mai 1990. Jede Bürgerin und jeder Bürger hatte drei Stimmen für den Ort und für den Kreis. Im Vorfeld fanden zahlreiche Wahlkampfveranstaltungen, häufig mit Teilnahme von Politikern aus dem „Westen“, statt.

 

Als eindeutiger Sieger der Kommunalwahl ging in Scheibenberg das „Bündnis der Mitte für Scheibenberg“ (Neues Forum und LDP) mit 49,1 % der Stimmen hervor. Es folgten CDU (27,6 %), DSU (10,76 %), DBD (8,08 %), FDGB (1,95 %), DFD (1,38 %), SPD (0,79 %) und der Kulturbund (0,3 %).

 

Die meisten Stimmen des „Bündnis der Mitte für Scheibenberg“ erhielt Wolfgang Andersky (859 Stimmen). Ihm werden wir bei der Wahl des Bürgermeisters im Juni wieder begegnen.

 

 

Teil 2

 

In unserem letzten Bericht in den Gundelfinger Nachrichten hatten wir über die Kommunalwahl in der ehemaligen DDR im Mai 1990 berichtet.

 

Wir haben uns bei Wolfgang Andersky, der von 1990 bis 2015 Bürgermeister von Scheibenberg war, erkundigt, wie es nach der Kommunalwahl in Scheibenberg weiterging und vor allen Dingen, wie es dazu kam, dass er 1990 als Bürgermeister gewählt wurde. Das Telefonat führte Bettina Bauer:

 

Wolfgang Andersky: „Die Kommunalwahl hatte am 06.05.1990 stattgefunden, mit einer Wahlbeteiligung von 87,4 %. Der neue Stadtrat setzte sich zusammen aus insgesamt 19 Stadträten. Rechtliche Grundlage war die letzte Kommunalverfassung der DDR, in der gab es keine Direktwahl des Bürgermeisters und dem Stadtrat stand nicht der Bürgermeister, sondern ein Vorsitzender vor. Ähnlichkeiten mit der norddeutschen Ratsverfassung waren hier vorhanden. Also eine „Zweispitzen“ Variante mit dem Bürgermeister als Chef der Verwaltung und dem Ratsvorsitzenden als Chef des Stadtrates.

 

Die konstituierende Sitzung des neuen Stadtrats fand am 31.05.1990 - nach einer Andacht in unserer Kirche - im Ratssaal des Rathauses statt. Die Leitung hatte für den ersten Teil das älteste Mitglied inne. Zunächst wurde die Kommunalwahl von der Wahlkommission nochmals erläutert und für rechtens erklärt. Danach wurden in einer geheimen Wahl Peter Wiesner als Ratsvorsitzender sowie als seine Stellvertreter Michael Langer als erster Stellvertreter und Rolf Brauer und Martin Josiger als zweite Stellvertreter gewählt.

 

Peter Wiesner als neuer Ratsvorsitzender übernahm die weitere Leitung der Sitzung. Als nächstes erfolgte geheim die Wahl des Bürgermeisters und des Stellvertreters.

 

Dabei stellte sich für alle die Frage, wer denn nun die Aufgabe des Bürgermeisters übernehmen sollte? Letztendlich wurde aus der Runde der Vorschlag gemacht, denjenigen, der die meisten Stimmen bei der Kommunalwahl bekommen hatte, für das Bürgermeisteramt zu nominieren. Ich hatte als Mitglied des „Bündnis der Mitte für Scheibenberg“ die meisten Stimmen erhalten und stellte mich für die Wahl zur Verfügung. So kam es, dass ich aus dem Kreis des Stadtrats fast einstimmig zum neuen Bürgermeister unserer Stadt gewählt wurde. Stellvertreter wurde Bernd Bortné.

 

Anschließend wurde noch über die Geschäftsordnung beraten und die Mitglieder des Haupt- und des Finanzausschusses gewählt.

 

Am nächsten Tag, 1. Juni 1990, frühmorgens um 7:00 Uhr habe ich mein Amt als Bürgermeister angetreten. Der erste Arbeitstag war ein Freitag und dann kam das Pfingstfest und damit die erste Möglichkeit, einmal etwas „Luft zu holen“ nach sehr rasanten, turbulenten, einmaligen und nicht zu vergessenden Tagen und Wochen der friedlichen Revolution. Wie Ihr wisst, hatte ich eine Kfz.-Mechaniker Ausbildung abgeschlossen, eine Meisterprüfung abgelegt und war damals als Fuhrparkleiter im VEB Blechverformung tätig. Ich wurde also in ein Amt gewählt, das ich nicht gelernt hatte, das ich nicht überblicken konnte - geschweige wusste, was auf mich zu kommt und worauf ich mich einlasse.“

 

 

Teil 3

 

 

Wie ging es nach der Wahl von Wolfgang Andersky zum Bürgermeister von Scheibenberg im Mai 1990 weiter? Und welche Bedeutung hat das Pfingstfest für die Partnerschaft zwischen Gundelfingen und Scheibenberg?

 

Dazu haben uns Roselore Herrmann aus Gundelfingen und Wolfgang Andersky von ihrer ersten Begegnung berichtet:

 

 

Wie Roselore Herrmann, damalige Gemeinderätin, berichtet, beschäftigte sich der Gundelfinger Gemeinderat im Frühjahr 1990, wie man im Zeichen der Wiedervereinigung einer ostdeutschen Stadt oder Gemeinde beim Aufbau einer bundesdeutschen Verwaltung helfen könnte. Vom Gundelfinger Gemeinderat Heinz-Dieter Joos, der mit dem Scheibenberger Karlheinz Schlenz im kollegialen Austausch als Lehrer stand, erfuhr man, Scheibenberg im Erzgebirge habe noch keine Partnergemeinde.

 

 

Und so bot Roselore Herrmann an, bei ihrem Besuch ihrer Schwester zu Pfingsten 1990 bei dieser Gelegenheit auch in Scheibenberg vorbei zu fahren. Am Pfingstsonntag, dem 03. Juni 1990, vormittags, fuhr sie mit ihrer Schwester nach Scheibenberg. Dort angekommen, erkundigte sie sich bei einem jungen Mann, der gerade im Garten arbeitete, nach Namen und Adresse des Bürgermeisters.

 

Angekommen beim Haus des Bürgermeisters kam es zur ersten Begegnung zwischen Roselore Herrmann und Wolfgang Andersky.

 

 

Beide schildern diese als ein sehr herzliches und emotionales Ereignis, das bis heute in Erinnerung blieb.

 

 

Für mich und meine Frau war es bewegend, dass zu einem Zeitpunkt, wo soviel Neues und Unbekanntes auf uns zukam, die Tür aufgeht und jemand aus dem Westen kommt und frägt, ob er helfen kann“ so erzählt Wolfgang Andersky.

 

 

Und auch für Roselore Herrmann bleibt diese ergreifende Begegnung in guter Erinnerung.

 

 

Ein Hinweis zum jungen Mann, der Roselore Herrmann die Adresse des Bürgermeisters gab: Es war Tilo Ficker, Stadtrat der Stadt Scheibenberg und Mitglied im Partnerschaftsverein in Scheibenberg. Er ist mit Meinrad Drumm, dem zweiten Vorsitzenden im Gundelfinger Partnerschaftsverein, gut befreundet.

 

Aus diesem ersten Zusammentreffen am Pfingstsonntag heraus entwickelte sich im Jahr 1990 rasch ein intensiver Austausch der beiden Bürgermeister und der Verwaltungen und erste Kontakte von Bürgerinnen und Bürgern.

 

 

Bernd Bauer

 

1.Vorsitzender